Basel-Stadt hatte bereits in den 1970er Jahren einen Skandal mit gefälschten Unterschriften. Die Folge: Eine abgesagte Referendumsabstimmung, umfassendere Unterschriftenbögen und eine Diskussion über die Legitimität gekaufter Unterschriften. Der Basler Fall könnte als «Bschiss» einiger Dilettanten abgetan werden. Aber schon damals zeigte sich die Problematik bezahlter Unterschriften, die sich für Basel im Übrigen bereits um 1900 nachweisen lassen.
Dieser Beitrag ist am 14. Oktober 2024 auf der Plattform der Schweizerischen Politikwissenschaften DeFacto erschienen. In der Zeitung bz basel ist am 20. September 2024 eine etwas längere Version erschienen.
Die nationale Empörung über gefälschte und in grossem Stil gekaufte Unterschriften rund um Volksinitiativen und Referenden ist derzeit gross. Schlagartig ist uns das Missbrauchspotenzial im System unserer direkten Demokratie bewusst geworden, wenn Sammlerinnen und Sammler von Unterschriften nur dreist genug vorgehen. Tricksereien bei Unterschriftensammlungen: Ein Phänomen erst der neusten Zeit? Basel-Stadt müsste es besser wissen.
1977 flog im Stadtkanton auf, dass zu einem Referendum hunderte ungültiger Unterschriften eingereicht worden waren. Das Referendum richtete sich gegen die Umwandlung der Laufenstrasse im Gundeldingerquartier, sie sollte in einem Abschnitt zur Wohnstrasse umgestaltet werden. Die Planungsbehörden begannen in diesen Jahren die Idee umzusetzen, dass der Strassenraum nicht in erster Linie den Autos, sondern den Menschen gehöre. Das fand nicht bei allen Motorliebhabern und Gewerblern gleich guten Anklang. Zumal dies die Steuerzahlenden 200’000 Franken kosten sollte.
Abgeschriebene Telefonbücher und Unterschriften von Toten
Am 13. Oktober 1977 informierte der Regierungsrat den Grossen Rat darüber, dass von den 3257 Unterschriften, die zur Laufenstrasse eingereicht worden waren, 957 als ungültig gestrichen werden mussten. Kurz darauf widerrief der Regierungsrat die bereits angesetzte Volksabstimmung. Minutiöse Befragungen des Kriminalkommissariats hatten ergeben, dass Hunderte der angeblichen Referendumsunterstützer nie eine Unterschrift geleistet und auch längst aus dem Kanton Weggezogene und Tote «unterschrieben» hatten. Gegen 40 Prozent der Unterschriften waren gefälscht.1
Die öffentliche Empörung und der Ruf nach einer strengeren Regelung liessen nicht lange auf sich warten. Im Grossen Rat wurde ein Vorstoss eingereicht, der den Verdacht äusserte, dass «schon früher Unterschriftenzahlen mit Hilfe des Telefon- und des Adressbuchs erhöht worden sind». Der Anzugsteller forderte eine Gesetzesänderung und schlug vor, neben dem Namen und der Adresse künftig auch eine nachprüfbare, aber nicht allgemein zugängliche Angabe zu verlangen, etwa das Geburtsdatum, den Bürgerort oder die AHV-Nummer. Auf diese Weise «liesse sich der Missbrauch zwar nicht ganz ausschliessen, er würde aber sehr erschwert».
Nur wegen der Prämie gesammelt
Zunächst ging es darum, die – Zitat Basler Zeitung – «traurigen Vögel» ausfindig zu machen. Wer die Fälscher waren, blieb zunächst allerdings unklar. Im Verdacht stand eine «Aktion für vernünftige Stadtgestaltung» um Bernhard Böhi, die in diesen Jahren generell gegen verkehrsberuhigte Strassen opponierte. In den 1980er-Jahren wurde er auch national als fleissiger Unterschriftensammler bekannt, etwa für eine Volksinitiative gegen Temporeduktionen auf Autobahnen. Böhi wies jede Schuld von sich und verdächtigte stattdessen die Befürworter des Wohnstrassenprojekts Laufenstrasse, das Referendum mit faulen Tricks zu «unterlaufen». Fünf Personen landeten vor dem Basler Strafgericht und mussten sich wegen Wahlfälschung und Betrug verantworten. Böhi gehörte nicht zu ihnen, seine zwar legale und trotzdem verhängnisvolle Idee war es aber gewesen, in Inseraten eine «interessante Nebenbeschäftigung» zu versprechen und Sammlern pro Unterschrift 70 Rappen zu bezahlen. Er habe zu dieser Massnahme gegriffen, weil die Referendumsfrist in die für Unterschriftensammlungen erfahrungsgemäss ungünstigen Sommerferien fiel.
Vor Gericht wurde klar, dass sich drei der fünf Angeklagten nur wegen der Prämie am Unterschriftensammeln beteiligten. Eine junge Frau sagte aus, sie habe gemerkt, dass dies eine mühsame Art des Geldverdienens sei und habe deshalb echten noch falsche Namen hinzugefügt. Ein anderer Fälscher mit langem Vorstrafenregister besorgte sich hunderte von Namen direkt aus dem Telefonbuch. Schliesslich wollte ein Befürworter von Wohnstrassen das Referendum tatsächlich mit ungültigen Unterschriften zu Fall bringen.2
Gesetzesänderung bringt Geburtsjahr auf Unterschriftenbögen
1979 legte der Regierungsrat eine Änderung des Initiativ- und Referendumsgesetzes vor. Er wies darauf hin, «dass Volksrechte stets auch im Vertrauen auf das korrekte Verhalten der Stimmbürger gründen. Sofern ein Missbrauch tatsächlich versucht werden sollte, so wird er nie ganz zu verhindern sein.» Was in Zukunft unbedingt verlangt werden müsse, sei neben dem Namen und der Adresse das Geburtsdatum der Unterschreibenden. Diese Angabe sei nicht allgemein zugänglich und dürfe deshalb als taugliches Mittel zur Erschwerung von Missbräuchen betrachtet werden.
Der Grosse Rat änderte die Regierungsvorlage ab. Statt dem genauen Geburtsdatum genügte ihm die Vorgabe, die damals auch auf Bundesebene galt, nämlich das Geburtsjahr.
Gekaufte Unterschriften verbieten?
Am liebsten hätte der Regierungsrat die Schrauben noch weiter angezogen. Er erwog, das Bezahlen von Unterschriften zu verbieten, denn es stelle «eine unerfreuliche Erscheinung» dar. Allerdings fand er dann doch, das Bezahlen für Unterschriften erscheine «nicht derart unsittlich, dass sich ein öffentlich-rechtliches Verbot rechtfertigen würde.» Abgesehen davon wäre ein Verbot wohl leicht zu umgehen und zudem würde sich das grundsätzliche Problem der Kontrollierbarkeit stellen, so das regierungsrätliche Fazit.3
10 Rappen für ein Nein zum Rathausturm
Hinweise, dass das Bezahlen für Unterschriften nicht erst ein Phänomen der neueren Zeit ist, finden sich in der Basler Arbeiterzeitung Vorwärts bereits für frühe Abstimmungen. So etwa beim Referendum gegen den Rathausturm, den Bürger 1899 verhindern wollten. Ein Leserbrief beklagte, dass das Referendumskomitee Sammlern «für jede ergatterte Unterschrift einen Schweizerbatzen zahlte». Also 10 Rappen. Namen wurden noch kaum genannt, auch nicht auf ersten Zeitungsinseraten, die in Abstimmungskämpfen auftauchten. Aber ein – altes wie neues – Bürgertum schien sich das eigene mühselige Sammeln gerne zu ersparen. Als 1900 das Referendum gegen den Verkauf des Areals Schifflände an die Kantonalbank ergriffen wurde, brachte der Vorwärts den Aufruf eines nicht näher umschriebenen Absenders, «dass die Sammler für dieses Referendum 10 Centimes für jede Unterschrift erhalten.» Auch bei weiteren Abstimmungen schickten dem Vernehmen nach reiche Herren ihre Sendboten zum Sammeln von Haus zu Haus.4
Mangelnde Transparenz: Gift für die direkte Demokratie
Der Blick zurück zeigt, dass die Klage über ungleiche finanzielle Spiesse und mangelnde Transparenz bei Unterschriftensammlungen und Abstimmungskämpfen so alt ist wie die direkte Demokratie selbst, in Basel wie wohl auch anderswo. In Basel gab es Fälle, in denen ganze Auftraggeber von Initiativen und Referenden im Dunkeln blieben. So trat in den 1950er-Jahren im Auftrag von Hintermännern lediglich ein Treuhandbüro in Erscheinung, um Subventionen für das Stadttheater per Referendum zu torpedieren. Die Politik reagierte allerdings. So mussten für die Lancierung einer Volksinitiative nun mehrere Personen mit ihrem Namen hinstehen. Unterdessen müssen die Unterschriftenbögen längst Name und Adresse eines Komitees tragen.
Basel-Stadt wie andere Kantone und der Bund verlangen von Unterschreibenden heute neben dem Namen und der Adresse das Geburtsdatum und die eigenhändige Unterschrift. Dass alle diese Angaben auf Papier gefälscht werden können ohne Garantie, dass die beglaubigende Stelle dies erkennt: Es ist uns schweizweit spätestens jetzt bewusst geworden. Mit der direkten Demokratie hätten es die Stimmberechtigten allerdings in der Hand einzugreifen. Sie könnten Leitplanken für kommerzielles Sammeln oder die Einführung des E-Collecting fordern – per Volksinitiative.
Kasten: Die Hürden für Volksrechte sind heute tiefer
Das Unterschriftensammeln sei schwieriger geworden, klagen Initiativ- und Referendumskomitees und setzen schweizweit auch deshalb verstärkt auf kommerzielle Sammler. Zwar gelten heute für Volksinitiativen Sammelfristen (beim Bund seit 1976, in Basel-Stadt seit 2005). Das Verhältnis zwischen erforderlicher Unterschriftenzahl und Anzahl Stimmberechtigter hat sich über die Zeit jedoch klar zugunsten der Volksrechte verändert. In Basel-Stadt waren 1875, als der Stadtkanton die direkte Demokratie einführte, 1000 Unterschriften nötig für Initiative wie Referendum. Das entsprach gegen 14 Prozent der Stimmbürger. Aktuell braucht es für eine Volksinitiative noch 2,9 Prozent und für ein Referendum 1,9 Prozent der Stimmbevölkerung. Auf Bundesebene genügen sogar markant weniger unterschreibende Stimmberechtigte, nämlich 1,8 Prozent bzw. 0,9 Prozent.
- Basler Zeitung, 2.11.1977 ↩︎
- Basler Zeitung, 27.2.1979; NZZ, 2.3.1979 ↩︎
- Ratschlag 7530 vom 20.7.1979 ↩︎
- Basler Vorwärts, 18.6.1899, 1.5.1900 und 25.5.1907 ↩︎